USG-Revision verpflichtet Stadtentwicklung und Lärmschutz gemeinsam anzupacken
Monika Litscher, Vize-Direktorin Städteverband
Urbane Realitäten: komplexe Stadtentwicklung
Für die Städte und die Agglomerationen ist es wichtig, dass sie die Lärmthematik ganzheitlich und möglichst effizient im Zusammenhang mit Stadtentwicklung anpacken können. Sie denken den Lärmschutz zusammen mit der Siedlungsentwicklung nach Innen, der Raumentwicklung und dem Umgang mit Bevölkerungswachstum, den veränderten Lebens- und Wohnansprüchen sowie der mobilen 24-Stundengesellschaft. Dabei geht mit einem gesteigerten Bedarf an Wohnsiedlungen, Freizeit-, Arbeits- und Konsumorten eine Erhöhung der Mobilitätsnachfrage einher.
Verursacherprinzip einhalten: Lärm an der Quelle verhindern
Der Verkehr, namentlich der Strassenverkehr, ist mit Abstand die grösste Lärmquelle. Es sind dessen externe Kosten, die laut des Bundesamts für Umwelt im Jahr 2019 infolge Lärm mit 2,8 Milliarden Franken zu Buche schlagen. Das sind 80 Prozent der lärmbedingten externen Kosten. Die Bevölkerung in Städten und Agglomerationen ist hauptleidtragend. Dort leben 90 Prozent der Betroffenen. Dort wird der Wert von Boden und Immobilien geschmälert – und, dort blockieren derzeit Lärmklagen viele Projekte der Wohnraumentwicklung. Dieser Lärm lässt sich reduzieren, am leichtesten mit einer Tempoverringerung mit Rücksicht auf die Menschen im Siedlungsgebiet. Das ist einfach, effizient, nachhaltig und ohne Verbote.
Urbanität bedeutet, Wohnraum für viele ermöglichen
Die Städte sind verantwortlich dafür, ihrer vielfältigen Bevölkerung attraktiven Wohn- und Lebensraum zur Verfügung zu stellen. Ist doch Diversität der Humus für Urbanität und das Kapital der Städte. Zugleich wollen die Städte Handel ermöglichen und auch künftig massgeblich zu Wohlstand und Wertschöpfung beitragen. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren, damit verbundene komplexe Herausforderungen und Prozesse, erfordern von den Städten einen neuen Umgang mit Lärm und vor allem mehr Handlungsspielräume. Die Städte fordern, in der übergordneten Gesetzgebung Anpassungen vorzunehmen. Dabei spielen für den Lärmschutz die Rahmenbedingungen der Raumplanung und Verkehrspolitik ebenso eine Rolle wie die strategischen Nachhaltigkeitsziele. Und, sie gelten für alle involvierten Akteurinnen und Akteure.
Eine kurze Chronologie der massgeblichen Geschäfte
Die Mühlen der Gesetzgebungsprozesse mahlen langsam. Im Jahr 2016 reichte Nationalrat Beat Flach die Motion 16.3529 zur Legalisierung der «Lüftungsfensterpraxis» ein. . Sie wurde mit der Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zur USG-Revision (siehe Position Städteverband) im Jahr 2021 aufgenommen. Im nächsten Jahr kam zugleich ein Vorstoss in Anlehnung an den EKLB-Bericht ins Parlament, u.a. mit Empfehlungen zur Verschärfung der Lärmgrenzwerte .Seine Behandlung wird auf Zeit nach USG-Revision verschoben. Derzeit ist entsprechend seiner Auflagen eine volkswirtschaftliche Beurteilung im Gange, die allenfalls Ende Jahr vorliegen soll.
Ende 2022 verabschiedete der Städteverband sein Positionspapier SSV zu Stadtentwicklung und Lärmschutz, mit einem ganzheitlichen Ansatz. Im Fokus stehen explizit der urbane Umgang mit «Strassenlärm» und die «Lärmvorsorge Planen und Bauen». Beide Bereiche sind von der vorliegenden USG-Revision betroffen, denn eine Reduktion von Lärm an der Quelle trifft die Anliegen des Tief- und Hochbaus. Es ist klar, der im USG verankerte Grundsatz der Reduktion von Lärm an der Quelle endlich umgesetzt werden muss, dafür brauchen die Städte und Agglomerationen mehr Handlungsspielraum. Entsprechend gilt es den Vollzug mit den neu aufgelegten Artikeln zu verankern.
Nachbessern: Die Anpassungen in der USG-Revision genügen nicht
Der Bundesrat schlug Ende 2022 in der Botschaft Änderungen der Art. 22 und 24 im USG vor. Die konkreten Ansätze weichten nun den Lärmschutz auf. Es bestehen Differenzen zur SSV-Position. Die zu liberale Auslegung der Planungs- und Bewilligungsmöglichkeiten geht weit über die Motion Flach hinaus und vernachlässigt den expliziten Einbezug der Reduktion des Lärms an der Quelle. Der Städteverband fordert, dass die Anliegen der Städte in der neuen Gesetzgebung, die sie massgeblich betrifft, aufgenommen werden. Denn sie sind es nämlich, die ihre Bevölkerung vor übermässigem Lärm schützen und für attraktive Lebens- und Wohnorte und Wohlstand im urbanen Raum sorgen müssen und wollen. Das kann nur mit einem integralen Ansatz im USG erfolgen, wenn der Lärm an der Quelle gemäss Verursacherprinzip reduziert werden kann, eine angepasste Praxis in Anlehnung an die «Lüftungsfensterpraxis» aufgenommen wird, ehe adäquate, städtebaulich verträgliche, baulich-gestalterische Massnahmen vorgenommen und allfällige Kompensationsmassnahmen in Betracht gezogen werden.
Stadtentwicklung und Lärmschutz: respektvoll, angemessen und verpflichtend
Wird das USG ganzheitlich und konform mit der Raumplanung und der Wohnbauproduktion umgesetzt. Dann bringt es allen Beteiligten grossen Nutzen, erhöht und erhält die Attraktivität in unseren bedeutendsten Siedlungs- und Wirtschaftsräumen. Mit einem Vollzug des Lärms an der Quelle und einer sorgfältigen, pragmatischen Lärmvorsorge werden derzeit blockierte oder hinausgeschobene Sanierungen, Erstellung von Wohnraum und Innenentwicklung möglich, zudem werden Ressourcen inklusive Kulturland geschont. Die Berücksichtigung der Städte in der Schweiz ist nicht nur Kür, sondern Pflicht, damit wir unsere gemeinsamen nationalen Ziele erreichen, Vielfalt und Wohlstand stärken. In diesem Sinne, gilt es nun zu ermöglichen und nicht zu verhindern.