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Nur eine nachhaltige Agglomerationspolitik garantiert Lebensqualität

29. April 2024 – Dreiviertel der Menschen leben in Agglomerationen. Dort, wo Städte eng mit ihren umliegenden Gemeinden verzahnt sind, soll es auch künftig attraktiv zum Leben und Wirtschaften sein. Den nationalen Rahmen dazu gibt die Agglomerationspolitik. Der entsprechende Bericht für die Jahre 2024-2031 soll in diesem Sommer durch den Bundesrat verabschiedet werden. Der Städteverband skizziert an dieser Stelle seine zentralen Anliegen: Allem voran verlangt er eine stärkere Berücksichtigung der urbanen Anliegen, soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit bei den bewährten und anzupassenden Massnahmen sowie ihre transversale Einbettung in Sektorialpolitiken. Und last, but not least einen verbindlichen Planungs-, Budget- und Finanzierungsprozess.

Monika Litscher, Vizedirektorin Schweizerischer Städteverband

 

Dreiviertel der Menschen der Schweiz lebt in Agglomerationen.  Entsprechend muss dort die Lebensqualität und Attraktivität gewährleistet sein und bleiben.

 

Was versteckt sich eigentlich hinter Agglomerationen?

Agglomerationen sind gelebte urbane Realität. Unter ihnen werden die verkehrlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich eng verzahnten Städte und Gemeinden verstanden. Im Jargon heisst es: Funktional verbundene Zentren und Gürtel (s. Agglomerationsdefinition und Gemeindetypologie des BFS). Agglomerationen stehen also für Stadtregionen und damit Beziehungen zwischen Städten und städtischen Gemeinden. In der Deutschschweiz meint umgangssprachlich Agglomeration, oder die Agglo oft lediglich die Gürtel, also die städtischen Agglomerationsgemeinden rund um die Kernstadt. Die Agglomerationen der Schweiz sind sehr vielfältig und heterogen (z.B. Podcast, Agglomerationspapier). Sie machen die urbane Schweiz aus, die wächst und auch das künftige Bevölkerungswachstum aufnehmen wird. Damit soll auch die Leistungsfähigkeit der Schweiz fortgeschrieben werden. Inzwischen zählt sie 52 Agglomerationen (s. BFS: Die Verstädterung der Schweiz setzt sich fort)

 

Kohärente Raumentwicklung: Mit Zielbild und Einbezug aller Staatsebenen

Städte beziehen sich in ihrem politischen Handeln räumlich auf Quartier, Stadt, Stadtregionen oder Agglomerationen. Der nationale Rahmen für eine wirkungsvolle und notwendige Zusammenarbeit auf dieser Ebene, für Städte, Gemeinden, Kantone und Bund, bildet seit etwa zwanzig Jahren die Agglomerationspolitik. Sie verdeutlicht, dass sich alle Staatsebenen mit eben diesen funktionalen Räumen und der urbanen Schweiz befassen wollen und müssen. Die Zusammenarbeit ist bedeutsam, auch im Wissen darum, dass es eben die dynamischen, eigenständigen städtischen Quartiere und Agglomerationen sind, die massgeblich für das Erreichen der nationalen strategischen Ziele, vor allem bezüglich der Nachhaltigkeit, sind (s. Interpellation Fluri. Wie unterstützt der Bund Städte und Agglomerationsgemeinden bei der Umsetzung seiner Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen?). 

 

Seit knapp zehn Jahren findet sich unter dem Dach der «Kohärenten Raumentwicklung» nicht nur das Zielbild für den urbanen Raum, d.h. die Agglomerationen, sondern auch für die ländliche Schweiz und die Berggebiete. Sie bleibt Bezugsgrösse auch für den Bericht zur Agglomerationspolitik und Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete 2024-2031, der im Sommer vom Bundesrat verabschiedet werden soll.

 

Anerkennung der Agglomerationspolitik = Anerkennung der städtischen Anliegen

Im Vergleich zu vor zwanzig Jahren sind heute die Herausforderungen für Städte, städtische Gemeinden und damit für die Agglomerationen nicht minder gross oder weniger komplex. Der Städteverband fordert, dass diese heterogene urbane schweizerische Realität explizit zu benennen ist und die Herausforderungen konkreter zu adressieren sind. Dann kann eine Planung, Gestaltung und Umsetzung von Massnahmen gelingen. Allem voran gilt es eine nachhaltige und qualitätsvolle Innenentwicklung um- und fortzusetzen. So gilt es, erfolgreiche Lösungswege gut zu verankern und passgenau in unterschiedlichen Kontexten zu skalieren und multiplizieren.. Solche Prozesse benötigen grosse Ressourcen und sind auch aus räumlicher Perspektive ganzheitlich und systemisch anzupacken. Konkret gilt es etwa bei Planung und Infrastrukturmassnahmen immer die gesellschaftlichen Auswirkungen und Fragen der Gerechtigkeit zu berücksichtigen. So hilft z.B. beim Planen von Verkehrsdrehscheiben die konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen zu Fuss, damit die Wege für alle hindernisfrei, direkt, sicher und attraktiv sind. Ebenfalls sind Klimaanpassung und -schutz mitzudenken und die Dimensionen des sozialen Zusammenhalts einzubeziehen. Dabei soll den Städten und Gemeinden Handlungsspielraum zugestanden werden. Denn sie sind, wenn es um das Erproben und Ausloten neuer Lösungsansätzen geht, als Labore und mit ihrer Politik der Nähe entscheidend (siehe u.a. Mobilitätspapier). 

 

In diesem Sinne verlangen die Städte und Agglomerationen, dass die sektoriellen Herausforderungen in der nächsten Agglomerationspolitik verbindlich einzubinden und zusammenzuführen sind, d.h. in einer Raumplanung mit Verkehrs-, Klima- und Wohnpolitik unter der Berücksichtigung der sozialen Effekte. Dabei soll die Antwort des Postulats 19.3665 Kutter mit ihrer Analyse der heterogenen Stadtregionen, der ineinandergreifenden Perspektiven Kernstädte und Agglomerationsgemeinden gerade zu den Herausforderungen in Raumplanung, Mobilität und Wirtschaftsentwicklung notwendige Lösungsvorschläge bringen. Nicht zu vergessen ist allerdings, dass Lösungswege von komplexen Herausforderungen wie der Agglomerationen auf einer horizontalen und vertikalen Zusammenarbeit basieren und nebst Politik und Verwaltung zielgerichtet auch den Einbezug von wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen bedürfen.

 

Drei zentrale städtische Anliegen: PAV, MoVo und NLQ

Der Städteverband hat sich zu bestehenden und neu geforderten Massnahmen der Agglomerationspolitik in einem Positionspapier im letzten Jahr geäussert.  Der Städteverband fordert vom Bundesrat, dass er die drei darin festgehaltenen Schwerpunkte im Bericht Agglomerationspolitik festhält.

  • Die Weiterführung des bewährten Programms Agglomerationsverkehr PAV gelingt, wenn sie definiert und deren Finanzierung langfristig gesichert wird. Dabei fordern die Städte eine zielgerichtete und verbindliche Zusammenführung einer dezidiert nachhaltigen Verkehrspolitik mit der Raumplanung und der Siedlungsentwicklung nach innen. Gerade die Sektoralpolitiken haben einen massgeblichen Beitrag zu leisten. Etwa ist eine Umsetzung des Bundesratsberichts (Po. 18.3606) bei den Schnittstellen zwischen über- und untergeordneten Strassennetzen wichtig, damit Verkehr nicht einfach nur verlagert, sondern auch vermieden wird, ehe vernetzt, verlagert und verträglich gestaltet wird. Für Städte und Agglomerationen stehen die Grundsätze einer nachhaltigen urbanen Mobilität, die flächeneffizient ist und die primär auf den Fuss- und Veloverkehr sowie den öffentlichen Verkehr abstellt, im Vordergrund. Dafür gilt es auch Aufenthalts-, Bewegungs- und Begegnungsmöglichkeiten an den Klimawandel anzupassen. Zudem ist der künftige Einbezug der Verkehrsdrehscheiben und damit der Schnittstellen zu verankern und fortzuführen.
  • Auch das Programm Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung MoVo wird vom Städteverband unterstützt. Die Vorhaben sind deshalb so wichtig, weil sie die Möglichkeit bieten, innovative Fragestellungen sektorübergreifend anzugehen und entsprechende Lösungsansätze zu entwickeln. Begrüssenswert für die Agglomerationen ist es, wenn sie mit weiteren Programmen, u.a. der nachhaltigen Mobilität synergetisch zusammengeführt und unbürokratisch umgesetzt werden können.
  • Das kleine Netzwerk Lebendige Quartiere NLQ zeigt, wie eine niederschwellige Massnahme, die im Quartier Arbeitenden zu unterschiedlichen Themen vernetzt, grosse Wirkung erzielen kann. Will das Netzwerk weiter bestehen und Wirkung entfalten, muss es weiterhin kuratiert werden. Dafür sind adäquate Ressourcen zu sprechen. Der Städteverband übernahm bislang die Leitungsrolle und nutzte dafür auch seine verbandsinternen Synergien und Netzwerke. Es gilt nun das Netzwerk in der nächsten Agglomerationspolitik als Teil des Wissensmanagement zielgerichtet zu integrieren. Dabei ist das Wissen aus spezifischen Massnahmen, Bottom-up aus dem Quartier gespiesen.

Auch hier sind in Zeiten des Klimawandels und der Klimakrise die Erhaltung der Lebensgrundlagen über eine rein ökologische Transformation hinaus zu behandeln, und es stellen sich explizit Fragen der Umweltgerechtigkeit. Wird dabei von gesellschaftlicher Vielfalt in Quartieren und Agglomerationen gesprochen, gilt es aus Sicht des Städteverbands, mit Nachdruck auf deren spezifische urbane Qualität hinzuweisen. Sie ist – gerade auch auf der Quartiersebene und im Alltag – ein exzellentes Übungsfeld für die Demokratie der ganzen Schweiz und trägt damit massgeblich zum sozialen Zusammenhalt bei.

 

Planungs-, Budget- und Finanzierungsprozess sichern

Ein Wissenstransfer aus einzelnen Programmen bietet in einer offenen, konstruktiv kritischen Diskussion auch Erkenntnisse für die übergeordneten Ziele und es kann eine explizite, nachhaltige Inwertsetzung der Agglomerationen folgen. Damit wird Wert für die Schweiz und Qualitäten für die Bevölkerung geschaffen. In diesem Sinne plädiert der Städteverband, dass seine Anliegen in der Agglomerationspolitik nicht nur verbindlich im Bericht aufgenommen werden, sondern auch mit einem angemessenen Planungs-, Budget- und Finanzierungsprozess gesichert werden.

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