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Alte Städte – neue Märkte

Dass Regionen über ihren eigenen Geschmack und Städte über spezifische Atmosphären verfügen, ist heute eine Selbstverständlichkeit in der Begegnung mit Raum und Kultur. Das war nicht immer so: Lange rangen im 20. Jahrhundert viele Städte in der Schweiz und anderswo um ihr Selbstverständnis, und die wachsende Konsumgesellschaft mit ihrem Appetit auf Internationales verdrängte viele regionale Spezialitäten in unbedeutende Nischen. Im Zeitalter fortschreitender Globalisierung hat sich aber auch das Lokale neu erfunden. Städte belebten mit Fussgängerzonen ihre Zentren und besannen sich alter Markttraditionen. Der Konsum des kulinarischen Erbes ist heute untrennbar mit dem Erleben von Stadt und Region verbunden.

Bellinzona ist das schweizweit vielleicht bekannteste Beispiel dieser Entwicklung. Sie betrifft in veränderter Form aber auch viele andere Städte aller Regionen – bis hin zum kleinen Huttwil im Emmental oder Altstätten im Rheintal mit ihren wiederbelebten Jahrmärkten. Auch in Bellinzona gibt es keine ungebrochene Markttradition. Historisch zwar bedeutsam, wurde sie nach einer langen Durststrecke erst 1975 wieder ins Leben gerufen. Heute ist der Markt ein beliebtes Ziel des «kleinen Tourismus», aber auch als Halt auf dem Weg in den Süden. Mit seinen mittlerweile bis zu 120 Ständen – viele davon in den Tessiner Farben – zieht er im Jahr über 100’000 Besucherinnen und Besucher aus nah und fern an. Sie konsumieren hier neben saisonalen Angeboten nicht nur die typischen Käse, Würste und Weine, sondern zugleich ein wenig von den Vorstellungen über das Tessin und seinen Traditionen. So stiften Märkte auch neue und zutiefst emotionale Beziehungen zwischen Produzentinnen bzw. Produzenten sowie Konsumentinnen und Konsumenten, zwischen den Regionen und vor allem zwischen Stadt und Land.

 

Auch wenn mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016 das Tessin noch näher an die Städte und Zentren des Nordens gerückt ist, verbinden sich mit dem neuen Städtetourismus nach wie vor Herausforderungen mit dem Verkehr. Und die neue Begeisterung für die städtischen Märkte stösst mit ihren Anzeichen des Overtourismus bei der einheimischen Bevölkerung verständlicherweise nicht immer und überall auf ungeteilte Gegenliebe.

 

 

Bernhard Tschofen

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