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Natur findet Stadt

Städte sind wertvolle Naturräume – das ist nur auf den ersten Blick überraschend. Ein Grund für die hohe Biodiversität der Stadtgebiete ist die grosse Vielfalt der Stadtlandschaft, die ein wertvolles Mosaik aus unterschiedlichen Lebensräumen bildet. Lange Zeit wurde dieser städtische Naturreichtum nicht erkannt. Erst in den 1980er-Jahren begann man in verschiedenen Städten der Schweiz, systematisch alle vorkommenden Pflanzen- und Tierarten zu inventarisieren. Als ökologisch besonders wertvoll erwiesen sich Stadträume, die den herkömmlichen Vorstellungen von Natur teils deutlich entgegenstanden; typisch städtische Raumtypen wie Gleisanlagen oder (ehemalige) Industrieareale.

Bald ergriffen erste Städte Massnahmen, um diese jüngst «entdeckten» Naturperlen zu erhalten. Den Grünämtern war klar, dass sie neue Formen des Naturschutzes erfinden mussten, die an urbane Realitäten angepasst waren. Ziel war ein Nebeneinander von Tieren, Pflanzen und Menschen, das die Bedürfnisse aller berücksichtigte: Rücksicht auf die Natur sollte eine menschliche Nutzung dieser Räume nicht ausschliessen.

 

Erfolgreiche Umsetzungen dieser urbanen Naturschutzkonzepte eines Miteinanders erfolgten in Zürich unter anderem auf Bahnarealen. So wurde Mitte der 1990er-Jahre der stillgelegte Lettenbahnhof an der Limmat zu einem Erholungsraum umgestaltet. Die Gestaltung richtete sich an unterschiedlichen Freizeitbedürfnissen aus, plante aber gleichermassen auch Rückzugsräume für Flora und Fauna ein. Heute erfreut sich dieser Landstreifen zwischen Autobahnzubringer und Flusskanal grosser Beliebtheit und zieht allerlei Sonnenhungrige an: Sowohl hippe Badegäste wie wärmeliebende Mauereidechsen. Dieser neue, naturbewusste Umgang mit urbanen Freiräumen war mit ein Grund, dass Städte ab den späten 1990er-Jahren als Wohnort wieder attraktiver wurden.

 

Die heutige Situation der Stadtnatur ist widersprüchlich. Ökologisch wertvolle Nischen fallen der baulichen Verdichtung zum Opfer und der Nutzungsdruck auf öffentliche Grünräume steigt. Zugleich drängt sich angesichts des Klimawandels und der zunehmenden städtischen Hitzesommer eine intensivere Begrünung des Stadtraums auf. Der Ruf nach griffigeren Gesetzesmassnahmen für den Schutz und die Förderung naturnaher Grünflächen, Gebäudebegrünungen und Stadtbäumen wird lauter. Der Umfang solcher Massnahmen ist jedoch politisch umstritten und geprägt von vielfältigen Interessenskonflikten.

 

 

Tobias Scheidegger

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