Nachtaktive Stadt
Dabei geht es um Spass, Vergnügen, Erlebnis und Erholung – und auch um mehr: Die Clubkultur setzt ästhetische Impulse und prägt auch Kunst, Musik, Mode, Design und Architektur. In Clubs treffen sich mitunter gesellschaftliche Gruppen, die sich anderswo aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität weniger frei fühlen. Zugleich zieht die Stadtnacht nicht nur Szenegängerinnen und Szenengänger an, sie bietet Raum für die Interessen einer breiten Bevölkerung. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der vielerorts bis in die Morgenstunden genutzt werden kann (z.B. als Noctambus, Moonliner oder Pyjama-Express/Pigiama), trägt dazu bei, die Menschen aus Stadt und Umland zu verbinden. Die Anziehungskraft der urbanen Nacht wirkt über Ortsgrenzen hinaus. Die Nachtökonomie ist Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor.
Beispielhaft für diese Entwicklung steht das Quartier du Flon in Lausanne. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts diente das Areal als Güterbahnhof und Warendepot. Ab den 1950er wurden die verlassenen Bauten allmählich umgewandelt: in Büros, Werkstätten, Ateliers und Veranstaltungsräume. Diese Phase der Zwischennutzung erreichte in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt. Das ehemalige Industriequartier war zu einem Zentrum der Alternativkultur geworden, in dem sich Kunst, politischer Aktivismus und auch Einzelhandel vermischten. Ab der Jahrtausendwende folgte eine Phase der Kommerzialisierung, die typisch für die Entwicklung in vielen Städten ist: Das Stadtplanungsamt erarbeitete in Kooperation mit der Immobilienbesitzerin einen Quartierplan, der die Erneuerung des Viertels durch Renovierungen und Ausbau des Gewerbes vorsah. Infolge eröffneter Einkaufszentren, Modeboutiquen, Restaurants und Bars – das Quartier du Flon wandelte sich zur Shopping- und Ausgehmeile, wobei das kreative Milieu schrittweise verdrängt wurde. Hier zeichnet sich eine fundamentale Herausforderung für die Zukunft von Städten mit einem dynamischen Nachtleben ab: Um lebendige und lebenswerte Quartiere zu erhalten, müssen Politik und Verwaltung gewährleisten, dass kulturelle Freiräume erhalten und zugänglich bleiben, bisherige Anwohnerinnen und Anwohner nicht durch ökonomische Zwänge vertrieben werden und sie müssen zur Verhinderung und Lösung von Nutzungskonflikten – etwa durch Lärmbelästigung – beitragen.
Julian Schmitzberger