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Entwicklung mit Bestand

12. Februar 2025 – Der bestehende Gebäudepark ist kein Hindernis für die Siedlungsentwicklung nach innen, im Gegenteil: Er ist die Ausgangslage für innovative und nachhaltige Transformationen – sei es als Bürogebäude oder als Einfamilienhaus.

Caspar Schärer, Architekt, Publizist und Raumplaner, ist Generalsekretär des Bunds Schweizer Architektinnen und Architekten BSA.

 

«Die Zeit der Landnahme ist vorbei»: Diesen Satz schrieb ich 2014 in der Architekturzeitschrift werk, bauen + wohnen. Er beschreibt etwas plakativ, was die damals in Kraft getretene Revision des Raumplanungsgesetzes eigentlich bedeutet. Wenn draussen auf der grünen Wiese nicht mehr neu eingezont werden darf, rückt der bauliche Bestand in den Fokus.

 

Schon vor der Gesetzesrevision boten sich Industrie- und Gewerbeareale als ideale Gebiete für die Innenentwicklung in den Städten an. In Zürich sind inzwischen praktisch alle grösseren Areale neu beplant oder bebaut. In anderen Städten beginnen Arealentwicklungen teilweise erst, aber es ist absehbar, dass nach 2030 nicht mehr viel davon übrigbleiben wird. Die Bauträgerinnen kommen nicht mehr umhin, auf kleineren und mittleren Parzellen einen Umgang mit den bestehenden Bauten zu finden. Die Städte wiederum müssen sich in ihren Baureglementen für diesen nächsten Schritt der Siedlungsentwicklung nach innen rüsten.

 

Regulierungs-Opportunitäten

Aber warum überhaupt mit dem Bestand arbeiten? Wäre es nicht einfacher, abzureissen und grösser, besser neu zu bauen? In manchen Fällen mag das zutreffen, wenn die Bausubstanz über Jahrzehnte vernachlässigt wurde und nachgewiesen werden kann, dass Ersatzneubauten umfassende Vorteile bringen. In den meisten Fällen jedoch wird das Potenzial des Gebäudebestands unterschätzt. Abgesehen vom ökologischen Wert – eine bestimmte Menge an CO2 wurde bereits «ausgegeben» und der Abbruch produziert Unmengen an Abfall – tragen viele bestehende Häuser zur Identität eines Strassenzugs, eines Quartiers bei.

 

Der Gebäudepark offeriert etliche Möglichkeiten für die Siedlungsentwicklung nach innen. Gerade die in den vergangenen 50 Jahren erstellten Bauten eignen sich für Transformationen: Es gibt sehr viele davon und praktisch alle müssen nachgerüstet werden. Grosses Potenzial steckt in der Umnutzung von Gebäuden, die gar nicht zum Wohnen bestimmt waren. So bieten sich etwa Büro- und Gewerbebauten als einfach «anzuzapfende» Reserve an. Einerseits stehen in den Städten viele Büroflächen leer, andererseits herrscht fast überall Wohnungsknappheit.

 

Eine Reihe von Beispielen zeigt, wie innovativ die Umnutzung von Bürogebäuden in eine Wohnnutzung bewerkstelligt werden kann. Sehr erfolgreich ist zum Beispiel der Umbau eines Lagergebäudes zum genossenschaftlichen Wohnhaus «Warmbächli» des Büros BHSF in Bern. Oder in Baden, wo Meier Hug Architekten 78 Eigentumswohnungen in vier Büropavillons einbauten und damit zeigen konnten, dass solche Umnutzungen durchaus für ein mittleres bis gehobenes Marktsegment funktionieren.

 

Eines der grössten Hindernisse für die Transformation ist die Nutzungsordnung. Sie verbietet mitunter eine Wohnnutzung in Bürozonen. Dies lässt sich aber ändern – auch wenn dafür kantonale Gesetze und Verordnungen angepasst werden müssen. Es lohnt sich! Eine weitere «Regulierungs-Opportunität» sind Aufstockungen. Eine fortschrittliche Regelung dazu hat der Kanton Genf hat in enger Zusammenarbeit mit den Planerverbänden erlassen. Zahlreiche Beispiele wie etwa die mehrfach ausgezeichnete Aufstockung um drei Geschosse an der Rue de Lausanne durch das Architekturbüro Lacroix Chessex zeigen neben der ökonomischen vorteilhaften Komponente deutliche Gewinne bei Architektur und Städtebau. Pauschale Aufstockungen wie sie in einigen Städten gefordert werden, sind jedoch nicht zu empfehlen. Eine gezielte Steuerung des Aufstockungs-Mechanismus bei gleichzeitig attraktiven Anreizen führt zu besseren Lösungen im Sinne des Quartiers und der ganzen Stadt.

 

Kluge Interventionen

Ein weiteres grosses Potenzial weisen Einfamilienhauszonen auf. Über eine Million Einfamilienhäuser stehen in der Schweiz; in mehr als der Hälfte davon leben nur eine oder zwei Personen. Viele Bewohner:innen würden ihre Häuser gerne für Familien freigeben, aber die Voraussetzungen dafür sind oft schlecht: Die neue Wohnung ist sehr wahrscheinlich viel teurer.

 

Abhilfe verschaffen kluge Interventionen wie das 2022 eröffnete Quartierzentrum Wesmelin in Luzern, ein multifunktionales Gebäude mit Kleinwohnungen für ältere Bewohner:innen des Quartiers. Eine andere Möglichkeit ist die Verdichtung des Einfamilienhauses selbst. In Zürich-Witikon wollte eine Bauherrin ihr Haus nicht allein bewohnen und liess zwei zusätzliche Wohnungen einbauen. Nun leben dort sechs Personen. Die Webplattform metamorphouse.ch führt weitere Beispiele für gelungene Transformationen von Einfamilienhäusern auf.

 

Das Fazit: Bestehende Bauten sind in der Regel nicht nur geeignet für die Transformation, sondern auch nachhaltiger als Ersatzneubauten.

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