Innenstädte unter Druck: Den Wandel als Chance nutzen
Die urbane Schweiz steht für Dynamik, Lebensqualität und Wirtschaftsstärke. Doch in der Diskussion über Ladensterben und verwaiste Innenstädte klingt die alte Diagnose der darbenden Zentren wieder an. Die Digitalisierung pflügt die Detailbranche um, die Frankenstärke hat die Situation in der Schweiz weiter verschärft. Auch die Verfügbarkeit eines umfassenden Warenangebots in Einkaufszentren, veränderte Logistikansprüche oder die Konkurrenzsituation in grenznahen Orten führen zunehmend zu Leerständen. Mit Folgen: Wo eine Erdgeschossfläche ungenutzt ist, entsteht Unbehagen und das Risiko einer Abwärtsspirale zu immer mehr Leerständen.
Wie also können Städte diesem Wandel begegnen und erfolgreich Strukturen einer Ökonomie der Nähe bewahren? Wie gelingt eine sorgfältige, auf kurze Wege ausgerichtete Stadtentwicklung im engen Austausch mit Gewerbe, Kultur und Gastronomie? Und welche Bedürfnisse haben Nutzerinnen und Nutzer einer Stadt? Am diesjährigen Schweizerischen Städtetag in Chur widmeten sich die rund 220 Stadtpräsidentinnen, Gemeindepräsidenten und Gäste des Schweizerischen Städteverbandes aus dem In- und Ausland diesen Fragestellungen.
In ihrer Ansprache lobte Bundesrätin Sommaruga den Innovationsgeist der Städte in Bereichen wie Verkehr, Klimaschutz und Energie. Im Verkehrsbereich bestünden die grössten Probleme beim Pendlerverkehr in den Städten und Agglomerationen. Damit die Bevölkerung besser vorwärtskomme, brauche es eine kluge Kombination von privatem und öffentlichem Verkehr.
Wachsende Lust am öffentlichen Raum
Kurt Fluri, Präsident des Städteverbandes und Stadtpräsident von Solothurn plädierte in seiner Eröffnungsrede dafür, den Wandel als Chance zu betrachten: «Wenn weniger Ladenflächen benötigt werden, kann auch Raum für Neues oder für erwünschten Wohnraum entstehen.» Es gehe nicht darum, nur die einzelne ungenutzte Fläche betrachten. «Mit Werthaltungen, die sich wandeln, ändert sich heute auch grundsätzlich die Art, wie der öffentliche Raum genutzt wird und wie unsere Städte überhaupt genutzt werden.»
Der Nutzungsdruck bleibt trotz Leerständen gross und vielfältig. Die Städte erleben eine zunehmende Lust am öffentlichen Raum. Erholung, Bewegung und Aufenthalt spielen sich zunehmend auch jenseits der Parkanlagen ab. Auch Plätze und Strassenräume rücken stärker in den Fokus der Stadtentwicklung. Ebenso können brachliegende Flächen konsequenter genutzt werden. Wichtig ist eine qualitativ hochwertige Ausgestaltung dieser Bewegungs- und Aufenthaltsräume. Pop-up-Aktionen beleben so brachliegende Ecken, die manche längst aufgegeben haben, und sorgfältig kuratierte, oft kleinräumig orientierte Angebote finden neue Kunden im realen Stadtraum. Zugleich können mit der intensiveren Nutzung des öffentlichen Raums Konflikte entstehen, die es zu lösen gilt.
Langfristige Planung, Temporärnutzungen, spontane Aktionen
Einfache Rezepte zur Stärkung der Zentren gibt es nicht. Aber es gibt zahlreiche Ansätze, die jede Stadt entsprechend ihrer Situation und Strategie kombinieren und ausgestalten kann. «Überall dort, wo die Städte mit Kreativität und Unkompliziertheit den Veränderungen begegnen, werden neue Modelle gefunden», sagt Urs Marti, Stadtpräsident der Gastgeberstadt Chur.
Die Lösungsansätze reichen von der langfristigen Stadtplanung, über Temporärnutzungen bis hin zur Spontanaktion. Auf einfachen Stadtspaziergängen oder mittels komplexen Altstadtanalysen holen sich Exekutiven Ratschläge bei Fachleuten für die Weiterentwicklung ihrer Innenstädte. An runden Tischen entwickeln Hauseigentümer, Gastronomie, Gewerbe und Behörden gemeinsame Lösungen. Ideen bringen auch neue logistische Ansätze: von Haus- oder Kofferraumlieferungen bis hin zu virtuellen Regalen und der Stadt als Showroom, in der Produkte erlebt werden können.