Wie gelingt Vielfalt in der Kultur?
Walter Leimgruger, Präsident der Eidg. Migrationskommission, Prof. im Fachbereich Kulturwissenschaft und Europ. Ethnologie an der Uni Basel
Der Mensch braucht Kultur. Dieser Binsenwahrheit würden alle zustimmen. Aber dann ist es auch schon fertig mit der Übereinstimmung. Was genau heisst überhaupt Kultur? Wer ist für die Förderung der Kultur und für die Partizipation möglichst breiter Bevölkerungsgruppen überhaupt zuständig? Die Kulturpolitik auf allen Ebenen wird geprägt von schönen Grundsätzen, die im Alltag kaum Berücksichtigung finden.
Untersuchungen zeigen immer wieder: Die Teilhabe am kulturellen Leben hängt von Bildung, Einkommen und Herkunft ab. Die geförderten Kulturinstitutionen und -projekte werden von einem relativ kleinen Teil der Gesellschaft genutzt. Diese Gruppe wiederum verfügt über die Deutungshoheit, weil sie politisch, pekuniär und intellektuell vorgibt, was förderungswürdige Kultur ist und was nicht. Deutlich erkennbar ist, dass z.B. Migrantinnen und Migranten sehr wenig am Kulturleben teilnehmen und dass Vorstellungen von Kultur, die eher populär oder traditionell sind oder weniger auf Professionalität und Innovation setzen, wenig Unterstützung erhalten.
«Migrantinnen und Migranten nehmen sehr wenig am Kulturleben teil.»
In den letzten Jahren setzte allerdings ein Umdenken ein, ist überall von kultureller Teilhabe und Partizipation möglichst breiter Bevölkerungsschichten die Rede. Und so machen sich wieder Gremien an die Arbeit und entwerfen Strategien, die nun Diversität einfordern. Aber ein gleichförmiges Einfordern von Diversität, bei der alle Institutionen die gleiche Art von Vielfalt zelebrieren, wird sich genauso monoton auf den Inhalt und negativ für die Beteiligung unterschiedlichster Gruppen auswirken wie die bisherige Politik. Denn wieder hat eine sich als Elite verstehende Gruppe ihre Vorstellungen durchgesetzt. Damit aber setzt sich etwas fort, was die Kulturpolitik schon immer geprägt hat: Die Steuerung durch diejenigen, welche die Macht haben, ihre Definition von Kultur durchzusetzen.
Kulturelle Teilhabe aber ist mehr als neue Diversitätsrichtlinien. Es genügt nicht, wenn die Kulturinstitutionen von oben herab versuchen, neue Publika anzusprechen, Schranken abzubauen und intensivere Vermittlungsarbeit zu leisten. Vielmehr müssen sie die Menschen mitreden, mitbestimmen, teilhaben lassen. Das aber bringt einen Kontrollverlust für die bisherigen Kulturfördernden und -verwaltenden mit sich. Jede Form von Steuerung wird schwieriger. Es geht um Teilhabe bei Programm, Prozess, Personal, Partnerschaften und Publikum, es geht um Zugang zu Förder- und Gestaltungsmitteln. Teilhabe heisst daher nicht zuletzt auch: Macht teilen. Das aber fällt kulturellen Institutionen und «Kulturverantwortlichen» zu oft noch schwer.