«Wir bringen Menschen zusammen»
Wie können die Bereiche Kultur und Integration voneinander profitieren?
Kultur bietet durch ihre Vielfalt und ihre facettenreichen Ausdrucksmittel motivierende und verbindende Räume für Partizipation. Durch die Kultur kann ein bislang unbekanntes Publikum erreicht und das «Unter-sich-Bleiben» überwunden werden. Da die Möglichkeiten der Partizipation nahezu unbegrenzt sind, erweist sie sich für Personen oder Personengruppen, die nur selten über Gelegenheiten zur Teilhabe verfügen, als Vertrauen stiftend und inklusionsfördernd. Der Bereich der Integration hat fundierte Kenntnisse über die Mobilisierung eines Publikums, das zuvor kaum partizipiert hat. Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Bereichen erlaubt es, dank Interaktionen verschiedenartiger Akteure und unter Berücksichtigung der Publikumsvielfalt, neue kulturelle Angebote zu erkunden.
Bulle hat das Projekt «Démarche participative - Culture en partage» lanciert. Was war der Auslöser?
Das Projekt wurde 2019 lanciert, nachdem die Stelle einer Kulturbeauftragten und einer Integrationsdelegierten geschaffen wurden. Zwischen 2017 und 2018 vergrösserte sich die Bevölkerung um 800 Personen, wobei 41% einen Migrationshintergrund haben (über 120 Nationalitäten). Zudem wurde ein Projekt im Rahmen der Initiative der Kulturstiftung Pro Helvetia zum Thema «Interkulturelle Gesellschaft eingereicht.
Bitte veranschaulichen Sie das Projekt.
Am Anfang bestand die Hauptschwierigkeit darin, die Exekutive zur finanziellen Beteiligung an einem Projekt zu bewegen, das auf dem partizipativen Prinzip beruht. Das Projekt von Pro Helvetia sah zwar eine paritätische Finanzierung vor, aber es ging trotzdem darum, die Exekutive vom Sinn eines solchen Prozesses in einer Stadt wie Bulle zu überzeugen.
Aus dieser ersten Etappe entstanden mehrere Projekte: das Stadtfest «Bulle en couleurs» (Bulle in Farben), Konzert-Dinner-Kino-Angebote und ein Spurensuchspiel. Bei jedem Event arbeiteten Einwohnerinnen und Einwohner sowie Kulturschaffende zusammen und wurden dabei von der Projektkoordinatorin begleitet. Die Events waren gratis, um eine der Barrieren beim Zugang zur Kultur aufzuheben. Die Kommunikation ist eine Herausforderung und es wurde rasch klar, dass der effizienteste Vektor in der Verbreitung und Förderung von Events durch die engagierten Personen selbst besteht. Bei allen Events konnten so sehr hohe Besucherzahlen verzeichnet werden.
Was erhoffen Sie sich langfristig?
Die durch das Projekt ermöglichten Begegnungen bringen Menschen zusammen, die aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Lebens- und Berufswege bestimmt nie aufeinandertreffen würden. Das Integrationspotenzial und der Faktor des sozialen Zusammenhalts werden durch die innerhalb der Bevölkerung hergestellten Verbindungen um ein Vielfaches erhöht. Darüber hinaus ist bereits eine Art von «Trickle-Down-Effekt» zu beobachten, der sich auf Orte wie das Museum oder die öffentliche Bibliothek auswirkt.
Können Sie eine erste Bilanz ziehen?
Können Sie eine erste Bilanz ziehen?
Der Zugang der Bevölkerung sowie der Kulturschaffenden zur Gemeindeverwaltung wurde erleichtert. Das «unsichtbare» Publikum wagt den Gang zu den Gemeindediensten. Diese Menschen sind nun besser über bestehende kulturelle Angebote informiert, wobei dies dank des aufgebauten Vertrauensverhältnisses sogar weit darüber hinausgeht. «Kulturtempel» wie Museen oder Bibliotheken haben Empfangs- und Veranstaltungsprozesse eingeführt, die auf das Projekt Culture en partage abgestimmt sind. Zahlreiche, bisher im kulturellen Leben der Stadt «unsichtbare» Menschen engagieren sich nun mehr. Sie bringen ihre Ideen ein und knüpfen direkte Kontakte mit lokalen Kulturschaffenden.•Die Weiterführung einer Stelle als Koordinatorin war ein zentrales Thema, um die Dynamik, die diesem Projekt eigen ist, beizubehalten und vor allem seine Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
Was erhoffen Sie sich für das Projekt in den nächsten Jahren?
Das Projekt kommt in seine zweite Phase. Anlässlich eines Netzwerktreffens entstanden neue Ideen zum weiteren gemeinsamen Aufbau und zur Fortsetzung des laufenden Prozesses: Es geht darum, die Kulturschaffenden für die Bedeutung einer Programmgestaltung zu sensibilisieren, welche die Bevölkerung in ihrer ganzen Vielfalt anspricht sowie die Menschen weiterhin zur Beteiligung aufruft. Man könnte sogar eine Labelisierung des Projekts Culture en partage für Kultureinrichtungen in Erwägung ziehen.
Marie-France Roth Pasquier (l.), Gemeinderätin von Bulle, Bereichsleiterin «Kindheit und Jugend, Integration, Mobilität». Sie wurde 2019 in den Nationalrat gewählt und ist Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur sowie der Verkehrskommission. Kirthana Wickramasingam (r.), Gemeinderätin von Bulle, Bereichsleiterin «Kulturelles, Museen und Bibliotheken, Tourismus, nachhaltige Entwicklung». Von 2016 bis 2021 war sie Grossrätin und 2020 Präsidentin des Grossrates. Die Gemeinderätinnen sind gemeinsam zuständig für das Projekt «Démarge participative – Culture en partage» |